Dr. Karl setzt KI-Chatbot gegen Klimaskeptiker ein

Theguardian

Seit über vier Jahrzehnten ist Dr. Karl Kruszelnicki Australiens bekanntester Wissenschaftskommunikator, sofort erkennbar an seiner unverwechselbaren Stimme und enthusiastischen Erklärungen, die Millionen von Menschen komplexe wissenschaftliche Konzepte verständlich machen. Mit 77 Jahren steht Kruszelnicki trotz unermüdlicher Arbeitsmoral vor einer unüberwindbaren Herausforderung: dem schieren Volumen an Fragen, die seine Social-Media-Kanäle überschwemmen, insbesondere zur Klimakrise. Er berichtet, täglich bis zu 300 Anfragen auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) zu erhalten, viele davon von Nutzern, die tief im Klimaskeptizismus verwurzelt sind – eine Gruppe, die seiner Meinung nach Jahrzehnten der Fehlinformation ausgesetzt war.

Angetrieben von einem tiefen Pflichtgefühl und dem Verständnis, dass er nicht persönlich jede Anfrage beantworten kann, hat Dr. Karl ein ehrgeiziges neues Vorhaben begonnen: die Schaffung eines KI-gestützten Digitalen Dr. Karl. Diese Initiative, die in Zusammenarbeit mit dem Technologiejournalisten Leigh Stark entwickelt wurde, nutzt ein großes Sprachmodell (LLM) der französischen Firma Mistral, einem aufstrebenden Herausforderer in der KI-Landschaft. Der Chatbot ist darauf ausgelegt, Kruszelnickis Sprechstil nachzuahmen und gleichzeitig evidenzbasierte Antworten auf klimabezogene Fragen zu liefern, wobei er auf ein riesiges Archiv glaubwürdiger Quellen zurückgreift.

Die Trainingsdaten für den Digitalen Dr. Karl sind beeindruckend und umfassen schätzungsweise 40.000 PDFs, die Kruszelnicki über 40 Jahre lang akribisch gesammelt hat. Dieses umfangreiche Korpus umfasst akademische Arbeiten, wissenschaftliche Konsenserklärungen und Artikel aus renommierten Publikationen wie The New York Times und The Guardian, was die Breite der Forschung des echten Dr. Karl widerspiegelt. Kruszelnicki betrachtet dieses Projekt als philanthropisches Unterfangen, in das er 20.000 US-Dollar seines eigenen Geldes investiert hat, angetrieben von seinem Engagement für die öffentliche Bildung. Er erkennt die umfassenderen ethischen Fragen rund um KI an, einschließlich Datenrichtigkeit und Umweltauswirkungen, argumentiert jedoch angesichts des Klimanotstands: „Das Perfekte ist der Feind des Guten.“

Frühe Demonstrationen des Digitalen Dr. Karl zeigen eine Benutzeroberfläche, die beliebten Chatbots wie ChatGPT ähnelt. Wenn er mit einer skeptischen Aussage wie „Klimawandel ist ein Schwindel“ konfrontiert wird, reagiert die KI, indem sie um Klärung bittet und dann Daten präsentiert, einschließlich Grafiken, die die atmosphärischen Kohlendioxidwerte der letzten 170 Jahre veranschaulichen. Als frühe „Alpha“- und „Beta“-Version weist der Chatbot jedoch einige Einschränkungen auf, darunter eine etwas steife Stimme, gelegentliche gemischte Metaphern und Fälle von „Halluzination“ – ein Begriff in der KI-Forschung, der die Generierung plausibler, aber sachlich falscher Informationen bezeichnet, wie zum Beispiel erfundene Zahlen für den CO2-Anstieg. Stark und Kruszelnicki arbeiten aktiv daran, die Stimme und die Gesamtgenauigkeit der KI vor ihrer voraussichtlichen öffentlichen Veröffentlichung im Oktober zu verfeinern.

Das Projekt ist als 100-Tage-Experiment konzipiert. In diesem Zeitraum plant Kruszelnicki, täglich 100 TikTok-Videos zu veröffentlichen, die die Zuschauer jeweils auf den Digitalen Dr. Karl verweisen. Nach den 100 Tagen wird das Team die Leistung des Chatbots und das öffentliche Engagement sorgfältig analysieren, mit dem Hauptziel zu beurteilen, ob er bei den Nutzern mehr Offenheit und Glauben an den Klimawandel gefördert hat. Dieser „Mark 1“-Ansatz ist ein bewusster Versuch, die Wirksamkeit zu messen, bevor weitere Entwicklungen in Betracht gezogen werden.

Die zugrunde liegende Prämisse des persuasiven Potenzials des Digitalen Dr. Karl wird durch neue akademische Forschung gestützt. Eine im September 2024 in der Zeitschrift Science veröffentlichte Studie zeigte, dass Gespräche mit einem Chatbot die Überzeugung der Teilnehmer an verschiedenen Verschwörungstheorien um etwa 20% reduzieren konnten, ein Effekt, der zwei Monate anhielt. Thomas Costello, Hauptautor der Studie und Assistenzprofessor für Psychologie an der American University, führt diesen Einfluss auf die Fähigkeit der KI zurück, schnell auf Informationen zuzugreifen und diese strategisch innerhalb eines Gesprächsrahmens einzusetzen. Er betont, dass ein vernünftiger Dialog entscheidend ist, um den Kern von Meinungsverschiedenheiten zu identifizieren. Während eine weitere von Costello mitverfasste Studie ähnliche Effekte für Klimaskeptizismus nahelegt, wenn KI-Agenten spezifische Nutzeranliegen ansprechen, stellt sie fest, dass diese effektiven KI-Modelle nicht auf realen Personen basierten und die Bereitschaft der Nutzer zur Beteiligung entscheidend war.

Um den wachsenden Bedenken hinsichtlich des ökologischen Fußabdrucks der KI zu begegnen, planen Kruszelnicki und Stark, die Website des Digitalen Dr. Karl vollständig mit Solarpaneelen zu betreiben. Stark merkt an, dass der Chatbot mit minimalem Computerspeicher läuft, was ihm theoretisch den Betrieb mit erneuerbaren Energiequellen ermöglicht. Während die Skalierung des Dienstes, um voraussichtlich 2.500 gleichzeitige Nutzer zu bedienen, energetische Herausforderungen darstellen könnte, ist das Team zu kontinuierlicher Überwachung verpflichtet. Kruszelnicki bekräftigt ihre Aufsicht und erklärt: „Wenn es schlecht läuft, ziehen wir den Stecker.“ Dieses ehrgeizige Projekt stellt eine einzigartige Mischung aus Wissenschaftskommunikation, künstlicher Intelligenz und einem tief persönlichen Engagement zur Bekämpfung von Klimafehlinformationen dar, das unerforschtes Terrain betritt, um zu sehen, ob ein digitales Doppel tatsächlich die öffentliche Wahrnehmung verschieben kann.